Der große Grand-Prix-Führer 2008 – Stefan Niggemeier


43 hoffnungsvolle Kandidaten singen in Belgrad über das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Eine Handreichung von Lukas Heinser und Stefan Niggemeier.

Teilnehmer, die sich für das Finale qualifiziert haben, sind farblich markiert.

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Albanien
Olta Boka: Zemrën E Lamë Peng

Es fängt an wie eine zarte folkloristische Ballade und wird im Refrain zeitweise zu Goth-Rock-Nummer — wenn man will, kann man darin natürlich den kühl kalkulierten Versuch sehen, die Siegerrezepte der letzten beiden Jahre zu kombinieren: eine Balkanballade mit Skandinavienrock. In jedem Fall hat Albaniens Beitrag das Potential, in Ost und West anzukommen, auch wenn er doch vielleicht etwas arg melancholisch geraten ist für den Anlass.

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Andorra
Gisela: Casanova

Nach zwei Sekunden wissen alle, wohin die Reise geht: zu stumpfesten Umts-Umts-Umts-Beats trällert eine Blondine entrückt über ihren Märchenprinzen. Der zunächst befürchtete Ohrwurm ist aber schon Geschichte, wenn der nächste Künstler die Bühne betritt. In den Textzeilen „Boom, boom, boom my heart still goes crazy / When I think of you“ wird das Lied sowohl musikalisch, als auch textlich auf den Punkt gebracht: es ist kreischig, nervig, ideenlos – als hätten Scooter LaFee produziert.

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Armenien
Sirusho: Qele, Qele

Im Hintergrund wird getrommelt, als sei immer noch 2005, im Vordergrund schwingt eine dieser Osteuropa-Shakiras, von denen wir bei diesem Grand Prix einige erleben werden, ihre Hüften und singt einen bedeutungslosen Text. Das geht vielleicht kurz in den Fuß, aber nicht ins Ohr.
Balkanität: 5/10
Shakiratät: 5/10

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Aserbaidschan
Elnur & Samir: Day After Day

Der erste Auftritt Aserbaidschans auf der Grand-Prix-Bühne — und wenn die Performance nur halb so aussieht wie im Video, hat man gleich die schwule Stammseherschaft fest ins Visier genommen. (Und wer weiß, vielleicht ist die Formulierung „Samir Javadzade likes to experiment with his clothes“ aus der offiziellen Biographie ja der landestypische Euphemismus für Homosexualität.) Elnur und Samir liefern sich als Engel und Teufel ein operettenhaftes Duell, bei deren Gesang es gelegentlich schwer fällt, sich für einen der beiden und gegen den Freitod zu entscheiden. Großes Drama, heftiges Pathos und ein cooler Orgelschlussakkord, der auch aus einem Drakulafilm stammen könnte — das müsste die Seele Osteuropas eigentlich bewegen.

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Belgien
Ishtar: O Julissi

Freuen Sie sich auf eine finnische Alpenmusikantengruppe, eine Fahrradhupe, eine Ente auf Helium und einen beinahe tödlichen Ohrwurm. Echt jetzt! Ein abgeschlossenes Ethnologiestudium war vermutlich noch nie so wertvoll wie beim Versuch, diese Erscheinung zu erklären. (Versuchen Sie’s nicht: der Text ist in einer Phantasiesprache verfasst.) Eine mögliche Platzierung im Finale dürfte stark vom Startplatz und damit von der Alkoholisierung der Zuschauer abhängen: nüchtern funktioniert’s nicht, betrunken kann man nicht mehr voten.
Rückung: Check

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Bosnien-Herzegowina
Laka: Pokušaj

Das Lied des Duos Laka klingt wie nichts, was man bisher gehört hätte. Im Leben.
Folklore-Klänge wechseln sich ab mit Coldplay-Rhythmen, nur um mittendrin von völlig unmotiviertem Getrommel unterbrochen zu werden. Das niedliche Musikvideo, in dem der Grand Prix im Kleinen schon mal durchgespielt wird, macht die Beurteilung nicht einfacher: ist das jetzt furchtbar oder gar nicht schlecht, ernst gemeint oder einfach gaga? Möglicherweise ist es einfach ein Vertreter der „Neuen Bosnischen Welle“, von der wir noch viel hören werden, wenn wir wollen.

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Bulgarien
Deep Zone & Balthazar: DJ, Take Me Away

Die drei Minuten aus Bulgarien sind eine eindrucksvolle und eindeutige Antwort auf die Frage, warum man nicht mal Techno und Hip-Hop mit einem Reggae-Rhythmus, banaler Popmelodie und Jean-Michel-Jarre-haften Musikelektronikexperimenten kombinieren sollte. Darum. Psychologisch interessant ist auch der nahtlose Wechsel von der Frage: „Singt da eigentlich keiner?“, die man sich im ersten Drittel des, äh: Liedes stellt, zur Frage: „Oh Gott, musste der Gesang jetzt auch noch sein?“ Wenigstens der Text zeichnet sich durch einen erfrischenden Minimalismus aus. Er lautet vollständig: „When the night falls down I want you / DJ please take me away.“ Was heißt eigentlich „Hyper Hyper“ auf bulgarisch?

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Dänemark
Simon Mathew: All Night Long

Er sieht, mit Hut, ein bisschen aus wie Roger Cicero, aber die Nummer klingt so sehr nach Sasha, dass man sich nur fragt, ob sie mit Sasha in Deutschland ein Riesenradiohit würde — oder es womöglich schon war. „All Night Long“ ist wie ein Soundtrack zum Trailer für den Sat.1-Sommerprogramm, im Guten wie im Schlechten: gut gelaunt, harmlos, zeitlos, unauffällig. Fast ein normales Lied. Und jetzt alle, und brav auf zwei und vier klatschen: „Ooooooal Naiiiiight Loooong…“

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Deutschland
No Angels: Disappear

Vier Frauen, die singen und sich bewegen können, schön anzusehen und international erfolgreich, eine zeitgemäße Popnummer — es gibt keinen Grund, sich zu schämen für den deutschen Beitrag. Aber herausragend aus all den Freaks und fremden Klängen oder gar mitreißend ist an diesem No-Angels-Nummer nichts. Nicht zufällig setzen sie sicherheitshalber auf den Grand-Prix-Bewegungs-Simulations-Klassiker: Windmaschinen, die die Haare und das Kleidergeflatter schön wehen lassen.

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Estland
Kreisiraadio: Leto Svet

Sicherheitshalber werden die Musiker in der offiziellen Biographie auf der Eurovisionsseite gleich als „comedy act“ vorgestellt. Das, äh: Lied ist konzipiert als Reise durch Europa, inklusive einer deutschen Strophe („Sommer Licht / Das ist Sommer Licht“), eines schnauzbärtigen Baritons, der später einen Flügel zu vögeln versucht, und drei halbnackter Tänzerinnen. An die ukrainische Wuchtbrumme Verka Serduchka vom Vorjahr kommen Kreisiraadio nicht heran, weil ihr absurder Reigen so absurd dann doch wieder nicht ist.

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Finnland
Teräsbetoni: Missä Miehet Ratsastaa

Spinal Tap meets Dschingis Khan: Die Finnen versuchen’s einfach nochmal mit Rock, Leder und Pyro-Effekten. Aber Lordi, die Gewinner von 2006, machten in ihren Masken nicht nur mehr her, sondern hatten unter der hauchdünnen Schicht aus Provokation und harten Gitarren eine mitsingbare, fast konsensfähige Schlagernummer. Das hier ist dagegen offensichtlich alles bierernst und hart und böse gemeint, und es bleibt nur die Frage, ob die Finnen ihre „R“s immer so rollen, oder das auch in Nordeuropa als Rammstein-Effekt funktioniert.

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Frankreich
Sébastien Tellier: Divine

Sébastien Tellier dürfte neben den No Angels der einzige Musiker im Starterfeld sein, der auch außerhalb seines Heimatlandes bekannt ist: immerhin stammt er aus dem Umfeld der Elektropopper von Air und war auch auf dem Soundtrack zu „Lost In Translation“ vertreten. Sein sommerlicher Schunkelschlager klingt wie eine Mischung aus Beach Boys und Daft Punk und dürfte sich bei einem Grand Prix als völlig fehl am Platz herausstellen. Da nützt es auch nichts, dass Frankreich erstmals mit einem rein englischsprachigen Song ins Rennen geht, was in der Grande Nation natürlich für mindestens drei mittelschwere Weltuntergänge sorgte.

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Georgien
Diana Gurtskaya: Peace Will Come

Frieden ist in Georgien nicht nur irgendein abstraktes Thema für Musiktexte, und dass diese Frau es ernst meint, verdammt ernst, merkt man leider in jeder Note dieses Werkes, das so gerne eindringlich sein würde und doch nur aufdringlich geworden ist und auf merkwürdig billige Art dicht. „Say it out loud peace will come / Everybody shout peace will come“, singt Diana Gurtskaya, und die letzte Hoffnung, dass es vielleicht nur um einen Beziehungskrieg gehen könnte, nimmt sie einem später mit der Zeile: „Kids with guns are always too young to die.“ Blind ist sie auch. Schwierige Kombination.

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Griechenland
Kalomira: Secret Combination

Tim Mosley sollte sich was Neues einfallen lassen: spätestens, wenn Grand-Prix-Beiträge wie Timbaland-Produktionen klingen, ist die Idee durch. Zwar sind Justin Timberlake und Nelly Furtado bisher nicht durch balkanische Einflüsse aufgefallen, aber diese englischsprachige Arschwackelnummer von Kalomira klingt dann doch viel zu kalkuliert, als dass die Sängerin damit Chancen haben dürfte. Doch wer weiß: der Grand Prix hat seine eigenen Gesetze und vielleicht sitzen genug sechzehnjährige Hip-Hop-Fans vor dem Fernseher, die auf diesen Tand reinfallen.
Balkanität: 10/10
Timbaländlichkeit: 10/10

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Großbritannien
Andy Abraham: Even If

Gut: Warum soll Großbritannien nicht mit einem ordentlich, aber furchtbar glatt produzierten Funk-Song im Stile Hot Chocolates beim Eurovision Song Contest antreten? Andererseits: Warum doch? Natürlich ist die Nummer viel professioneller als die Mehrheit der Konkurrenten, aber routinierter, gleichgültiger, egaler ist sie auch. Vielleicht hilft es, wenn der Sänger Andy Abraham auf der Bühne im Gegensatz zum Video sich vielleicht die Mühe macht, sich ein bisschen zu bewegen, zu tanzen gar. Falls das nicht zuviel der Anstrengung ist.

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Israel
Boaz: The Fire In Your Eyes

Das ungefähr einzige Mal, dass Israel nach den Trompeten von Jericho musikalisch noch einmal auf sich aufmerksam machen konnte, war vor zehn Jahren, als die Transsexuelle Dana International den Grand Prix gewinnen konnte. Eben diese Dana International hat den Song für die diesjährige Grand-Prix-Teilnahme geschrieben, aber „The Fire In Your Eyes“ hat so gar nichts mit Disco und fröhlichem Geschunkel zu tun: es handelt sich um eine halbwegs typische Grand-Prix-Ballade, die zwar folkloristisch, aber völlig unbalkanisch daherkommt. Um mit diesem Song vorne mitspielen zu können, müsste das kollektive Geschmacksbarometer in diesem Jahr in Richtung „arabisch“ ausschlagen und Boaz, der Sieger von „Israel sucht den Superstar“, müsste bei seinem Auftritt die Töne treffen.

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Irland
Dustin the Turkey: Irelande Douze Pointe

And now: Turkey… Die überdurchschnittlich hohe Quote von kalkuliertem Trash in diesem Jahr ist sicher eine unmittelbare Folge des zweiten Platzes für die ukrainische Trash-Nummer im letzten Jahr. Und so schickt Irland, das Land von Johnny Logan und der nie sterbenden Ballade für den allgemeinen Weltfrieden, einen rappenden Truthahn. Das schreit: Seht her, was für krasse Sachen wir machen und wie toll schlecht das ist, und hat nur zwei Probleme: Es ist nicht lustig. Und vor allem: Es ist nicht sympathisch. Es fehlt ihm jede Leichtigkeit, jede Naivität. Da kann das Tier noch so selbstironisch über das Grand-Prix-Spektakel rappen und „We’re sorry for Riverdance“ singen. Das witzigste ist noch, dass der Truthahn auch als Texter und Komponist Credits bekommt. Wenn er gewinnt, wird die Eurovision sicher bald die Regularien ändern und Tiere von der Teilnahme ausschließen müssen.

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Island
Euroband: This Is My Life

Wenn eine Band namens Euroband beim Eurovision Song Contest antritt, mit welchem Musikstil wird sie das wohl tun? Richtig: Eurodance ist noch nicht tot – dank des kühlen isländischen Klimas scheint er dort auch noch nicht mal komisch zu riechen. Wer auf das Geglucker von Robert Miles, die Beats vom letzten Madonna-Album und die Tonleitern aus 90er-Jahre-Techno zurückgreift, wird auch nicht davor zurückschrecken, sich mit einer Keytar (oder „Umhängekeyboard“, wie die Fachleute sagen) auf die Bühne zu stellen. Ganz, ganz schlimm.

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Kroatien
Kraljevi Ulice & 75 Cents: Romanca

Eine gewagte Kombination, die verschiedene folkloristische Klänge, ein französisch angehauchtes Akkordeon, singbare Stophen, den Sprechgesang eines alten Mannes und einen merkwürdigen Refrain, der original aus einer italienischen Pizzeria stammen könnte, in eine erstaunlich moderne Verpackung bringt. Und wenn das Lied zuende ist, könnte man nahtlos „Those Were The Days, My Friend“ weitersingen. Es fehlt nur der Film, aus dem der Song stammt. Eine dieser Nummern, die man garantiert nur beim Song Contest zu hören bekommt — aber eine von denen, die angenehm abwegig sind, nicht lächerlich grotesk.

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Lettland
Pirates Of The Sea: Wolves Of The Sea

DJ Bobo und DJ Ötzi singen in einer Original-Choreographie von Dschinghis Khan eine Cover-Version eines alten Klaus-und-Klaus-Hits — demnächst schon in den Jamba-Klingelton-Charts. „We are the wolves of the sea“, singen sie, und vielleicht müsste einfach jemand versuchen, ob man sie zerquetschen kann wie eine rohe Kartoffel. „We will steal the show“, heißt es weiter im Text. Wetten nicht?

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Litauen
Jeronimas Milius: Nomads In The Night

Er ist beim Piraten-Casting ausgeschieden und versucht es jetzt alleine: Jeronimas Milius schmettert eine melodramatische Musical-Nummer, deren Instrumentierung komplett aus einem Casio-Keyboard zu stammen scheint. Außerhalb eines Musical-Theater hat seine Überinterpretation dieses halbgaren Schmachtfetzens nichts verloren, aber wenn Sie während des Auftritts eine Scheibe Brot vor Ihren Fernseher legen, haben Sie hinterher wenigstens eine ordentliche Schmalzstulle. Und wie oft hat man nicht beim Grand-Prix-Schauen schon vergessen, zu essen?

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Malta
Morena: Vodka

Das hätten sich Sigue Sigue Sputnik auch nicht träumen lassen, dass ihr Sound einmal, zwanzig Jahre später und leicht heruntergedimmt, mal als maltesischer Beitrag zum Grand-Prix wieder auftauchen wollte. Die Nummer hat zweifellos Energie. Man könnte aber auch sagen, sie klingt ein bisschen nach einem Trinklied für Duracell-Spielzeug-Häschen, die sich in einen wilden Alkoholrausch tanzen, bis ihre Batterien leer sind. „Vodka“ heißt das Stück — nicht dass man das erraten könnte, egal wie oft es Sängerin Morena singt.

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Mazedonien
Tamara, Vrčak & Adrijan: Let Me Love You

Da hatte wohl jemand zu viele Ideen für einen Zweidreiviertelminüter alleine: nach einem hochbalkanischen Intro kommen erst mal zwei Prollrapper, ehe sich glattproduzierter Folklorepop durch Strophen, Refrains, Bridges und noch ganz andere Liedteile kämpft. Ob es eine kluge Idee war, den Schnelldurchlauf, der üblicherweise einen Grand-Prix-Abend beschließt, in einem Song vorwegzunehmen, darf durchaus bezweifelt werden. Von „Let Me Love You“, das zwischendurch auch noch etwas zu stark an Lindsay Lohans Gesangsausflug „Rumors“ erinnert, bleibt höchstens hängen, dass der Song nervt.
Balkanität: 10/10
Banalität: 10/10

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Moldau
Geta Burlacu: Century Of Love

„Ethno-Soft-Jazz“ nennt Geta Burlacu ihren Musikstil, was vermutlich ein besserer Ausdruck ist als die mindestens ebenso naheliegende Bezeichnung „80er-Jahre-Softporno-Ballade“. Ausgerechnet von hinter Rumänien kommt die entspannteste, kuscheligste und vielleicht sogar coolste Nummer des Abends (auch mit der schönsten Rückung) — die allerdings darunter leidet, dass man sie viel lieber mit seinem oder seiner Liebsten vor dem Kamin hören würde als beim Grand-Prix. Klingt aber nach zwölf Punkten aus Frankreich.

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Montenegro
Stefan Filipović: Zauvijek Volim Te

Ein 21-jähriger Schönling, ein Text, über den ich Ihnen so gar nichts erzählen kann, und E-Gitarren, die losrocken, wie seit Matthias Reim nicht mehr. Der Rockschlager von Stefan Filipović klingt mutmaßlich wie die zweite oder dritte Single eines beliebigen DSDS-Gewinners, ist allerdings längst nicht so liebevoll produziert. Immerhin taugt das Lied zur Vermessung des eigenen Kurzzeitgedächtnisses: wer nach 2:59 Minuten Song noch weiß, wie die Nummer angefangen hat, darf sich aufmerksam nennen. Er muss sich aber auch die Frage gefallen lassen, ob er nichts besseres zu tun hat.

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Niederlande
Hind: Your Heart Belongs To Me

Natürlich ist es unfair, dass uns bei der Sichtung der Titel teilweise nur Mitschnitte der nationalen Vorentscheide zur Verfügung stehen, teilweise aber auch aufwändig produzierte Musikvideos. Im Falle von „Your Heart Belongs To Me“ spricht das Video gegen den Song, denn eine junge Frau, die sich verführerisch in einem Kinderzimmer räkelt, ist (selbst für Grand-Prix-Verhältnisse) altbacken. Was kann man über das Lied selbst sagen? Es geht auf eine nur mittel-nervige Art ins Ohr und klingt überraschend un-niederländisch – und das, obwohl die Sängerin Hind Laroussi wie der berühmte Käse aus Gouda stammt. Der balkanische Ranschmiss bringt den Titel entweder unter die Top 10 oder die Zuschauer fühlen sich verarscht und wählen den Song nicht mal ins Finale.
Balkanität: 8/10
Shakiratät: 8/10
Lolitatät: 8/10

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Norwegen
Maria: Hold On Be Strong

Viele Traditionalisten trauern ja immer noch der früheren Regel hinterher, dass die Teilnehmer in ihrer jeweiligen Landessprache singen müssen. Andererseits ist es bei solch langweiligen Möchtegern-Britney-Nummern wie dieser das einzige, was einen wach hält: zu erraten versuchen, ob es sich bei dem Gesang um Englisch handelt — und sich dann darüber lustig zu machen. Maria schafft es zum Beispiel originellerweise, Wörter wie „angry“ und „remember“ auf der letzten Silbe zu betonen. Das ist dann leider auch das Interessanteste, das zu diesem Titel zu sagen wäre.

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Polen
Isis Gee: For Life

Das Porträtfoto der Sängerin führte zu langen Diskussionen, ob wir Ihnen das überhaupt zumuten können. Wir fanden: wer sich für den Grand Prix interessiert, kann sowas ab. Das Lied ist eine solide Ballade, die der sehr schlichten Formel Strophe / Refrain / Strophe / Refrain folgt. Angesichts der Mitbewerber, die sich um bis zu 217 Ideen für Intro, Strophe, Tanzbreak und gerückten Refrain am Schluss bemühen, verdient allein das eine lobende Erwähnung. Womöglich wären die Streicher für einen Radio-Einsatz etwas zu dick aufgetragen und womöglich würde man Isis Gee ihr Mariah-Carey-Gejodel in freier Wildbahn auch sehr viel übler nehmen, aber das hier ist Grand Prix und da passt das alles schon. Bleibt die Gefahr, dass „For Life“ gegen die überladenen Mitbewerber einfach untergeht.

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Portugal
Vânia Fernandes: Senhora Do Mar (Negras Águas)

Portugal liegt musikalisch jedes Jahr auf einem anderen Kontinent als der Rest Europas. Mit etwas Anstrengung kann man in dem Titel in diesem Jahr den Versuch sehen, mit einer Sängerin, die, sagen wir, keine klassische Schönheit ist und einer folkloristischen Ballade das Erfolgsrezept des Vorjahres zu kopieren. Aber als sei die Ballade mit Marschrhythmus nicht merkwürdig genug, hat sich der Chor entschlossen, hinter der Sängerin während der drei Minuten seinen Freischwimmer zu machen. Auch die klassische Rückung (fast unverzichtbar beim Song Contest) wird Portugal nicht retten.

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Rumänien
Nico & Vlad: Pe-o Margine De Lume

Ein Klassiker: Das große romantische Duo zwischen einer Popsängerin und einem ausgebildeten Opernsänger. Die Rumänen haben es in Szene gesetzt nach dem Motto „Mehr ist mehr“ und „Kitsch as Kitsch can“ — es ist alles too much, und doch hat es einen Reiz, nicht nur wegen der gelegentlich hörbaren Versuche, dem Schmalz moderne Kontraste entgegen zu setzen.
Peterhofmanneskität: 7/10

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Russland
Dima Bilan: Believe

In der russischen Grand-Prix-Politik tut sich offenbar mehr als in der Innenpolitik: keine Lolita-Bitches dieses Jahr. Erleben Sie stattdessen Enrique Iglesiow mit einem Beat von Timbalow und einem Refrain, der Erinnerungen an Falcos „Jeanny“ weckt. Vor fünf Jahren wäre das alles sehr modern gewesen, für den Grand Prix könnt es grad noch reichen. Das dazugehörig Musikvideo trieft vor Dramatik, könnte aber auch der Werbespot eines Mobilfunkanbieters sein – sogar der Geiger hängt lieber am Handy als an seinem Instrument (glücklicherweise ist es nur ein Geiger, so dass wir die Geigerzähler zuhause lassen können).
Balkanität: 1/10
Timbaländlichkeit: 8/10

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San Marino
Miodio: Complice

Es ist leicht, sich diesen Song als Titelmusik einer leicht mysterymäßig angehauchten Fernsehserie vorzustellen. Es ist nicht so leicht, ihn sich beim Grand-Prix vorzustellen. Mit dem E-Gitarren-Bett und dem kleinen Elektronik-Geklimper fällt der Titel der Band Miodio zwar aus dem Rahmen, aber auch nicht wirklich auf. Aber die Jungs können sich trösten, wenn sie nicht ins Finale kommen. Schließlich heißt es im Pressetext heißt es: „The song is listed in the catalogue of the prestigious and renowned iTunes Store.“ Was will man mehr?

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Schweden
Charlotte Perrelli: Hero

Die Frau kennen Sie als langjähriger Grand-Prix-Fan natürlich: Charlotte Perrelli hieß noch Charlotte Nilsson, als sie vor neun Jahren für Schweden gewonnen hat. Insofern zählt sie in diesem Jahr zu den Top-Favoriten – zumindest in Westeuropa. Ihr Wettbewerbsbeitrag klingt zwar wie Kylie Minogue vor etwa acht Jahren, hat damit aber alles, was ein Siegertitel früher mal brauchte: durchschnittliche Discobeats, einen schlichten Text, einen eingängen Refrain, obskure Tanzschritte und eine Rückung kurz vor Schluss. Ihr Erfolg wird auch von der Auswahl ihrer Bühnengarderobe abhängen: in dem etwas zu engen Pailletten-und-Fransen-Kleid, das sie beim Vorentscheid trug, sah sie aus wie die uneheliche Mutter der kleinen Meerjungfrau.
Balkanität: 0/10
Disco-Tauglichkeit: 8/10
Beat: 4/4
Rückung: Check

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Schweiz
Paolo Meneguzzi: Era Stupendo

Beim Auswürfeln, in welcher Landessprache die Schweiz den DJ-Bobo-Flop vom Vorjahr wieder wettmachen will, hat „italienisch“ gewonnen. Davon ab klingt „Era Stupendo“ sehr amerikanisch: nach einem Anfang, der jede DSDS-Sieger-Ballade in Sachen Pathos alt aussehen lässt, zieht das Lied plötzlich an und erinnert an den derzeit wieder modernen Collegerock von OneRepublic und Mêlée. Einerseits ist das Lied eine klassische Grand-Prix-Nummer, deren Erfolg heutzutage nicht abzuschätzen ist, andererseits zählt es zu den wenigen im Starterfeld, die man sich auch im Radio vorstellen könnte. Egal, wie es für Paolo Meneguzzi ausgehen wird, eines ist ihm schon gelungen: ein italienischsprachiger Song, bei dem man ausnahmsweise mal nicht an Pizza denken muss.

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Serbien
Jelena Tomašević feat. Bora Dugic: Oro

Da versuchen alle westeuropäischen Länder mit osteuropäischen Melodien und Rhythmen mehrheitsfähig zu machen, und was macht Serbien? Bedient sich ganz im Westen, in Irland, und schickt einen Titel ins Rennen, dessen Refrain auf dem Soundtrack zu „Braveheart“ gewesen sein könnte. Und dazu die internationalen Zeilen: „Nuna nej, nuna nuna nuna nunu nunu nej / Nuna nej, nuna nuna nuna nunu nunu nej“. Es sind die ganz großen Gefühle (und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht die osteuropäische Seele erobern), aber sie kommen natürlich und unkalkuliert daher. Und auch der Westen wird etwas können mit dem Titel, dem das Kunststück gelingt, nicht altmodisch, sondern zeitlos zu wirken. Norwegen hat es schon einmal geschafft, mit einem ähnlichen Trick, den Song Contest zu gewinnen: „Nocturne“ hieß der Titel, es war 1995.
Pathos: 10/10

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Slowenien
Rebeka Dremelj: Vrag Naj Vzame

Rebeka Dremelj, bitte merken Sie sich das, ist die einzige Person, die Slowenien auf zwei verschiedenen Feldern repräsentiert hat: 2001 wurde sie als Miss Slovenia bei den Wahlen zur Miss World Zweite, in diesem Jahr will sie für ihr Heimatland den Grand Prix gewinnen. Ihre Chancen stehen nicht sehr gut, denn spätestens wenn der stumpfe Beat die Kinderliedmelodie des Refrains unterbuttert, klingt der Song nach wenig mehr als Kirmes. Da nützen auch die balkanisch flirrenden Gitarren, die jeweils für etwa einen Takt zu erahnen sind, nichts mehr: „Vrag Naj Vzame“ ist allenfalls was für die Ballermann-Ableger an der Adria.

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Spanien
Rodolfo Chikilicuatre: Baila El Chiki Chiki

Wenn Sie sich das Bild links anschauen, wissen Sie alles, was Sie über den spanischen Beitrag wissen müssen, insbesondere, wenn Sie die Länge, die der Herr mit seinen Zeigefingern andeutet, nicht auf sein Geschlechtsteil, sondern seine Musikalität, Originalität und Witzigkeit beziehen. Ich wollte erst schreiben, das sei der Alf Poier Spaniens. Aber das wäre so ungerecht Alf Poier gegenüber.
Trashigkeit: 11/10

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Tschechische Republik
Tereza Kerndlová: Have Some Fun

Vielleicht wird Tereza Kerndlová beim Grand Prix alle überraschen und (anders als beim Vorentscheid) in der gleichen Tonart singen wie ihre Background-Sängerinnen. Vielleicht wird sie bis dahin auch ihre Hose wiedergefunden und angezogen haben. Die saudoofe Party-Produktion und der alberne Text werden aber vermutlich nicht weggehen und so wird Tschechien mit einer der schlimmsten Nummern des Jahres an den Start gehen. Immerhin verarbeitet das Lied selbstkritisch die sonst üblichen Reaktionen auf ihre Gesangskünste: „If you wanna have some fun, don’t run“. Dann lieber keinen Spaß haben.
Balkanität: 5/10
Timbaländlichkeit: 6/10

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Türkei
Mor ve Ötesi: Deli

Den türkischen Beitrag sollte man sich immer genauer ansehen, immerhin gehen da aller Voraussicht nach die zwölf deutschen Punkte hin. Das würde dieses Jahr sogar in Ordnung gehen, denn „Deli“ zählt zu den modernsten und spannendsten Songs im Starterfeld: wie einst die Gewinner von Lordi kombinieren auch Mor Ve Ötesi lauten Krach mit eingängigen Melodien. Durch die folkloristischen Einsprengsel erinnert das Ergebnis etwas an System Of A Down, aber auch an Muse. Die Chancen sind schwer abzuschätzen, aber eine interessantere Aufarbeitung südosteuropäischer Folklore ist in diesem Jahr nicht zu haben.

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Ukraine
Ani Lorak: Shady Lady

Dieses Kylie/Madonna-Ding scheint (natürlich neben Balkan-Folklore) in diesem Jahr der große Trend zu sein. Mal wieder. Es sind Umstände denkbar, unter denen man zu diesem ziemlich okayen Song, der nach zwei Minuten leider etwas aus den Fugen gerät, tanzen könnte. Letztlich ist „Shady Lady“ ein Allerweltssong, aber eben auch kein vollständiger Trash wie manch andere Kandidaten.

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Ungarn
Csézy: Candlelight

Es gibt sie noch, die klassische Grand-Prix-Ballade. „Candlelight“ hätte vor 15, 20 Jahren sicher gute Chancen auf einen Platz unter den ersten dreien gehabt. Aber heute? Der Titel ist nicht schlecht gemacht, könnte von Barry Manilow komponiert sein oder aus einem populären Musical stammen und ist vielleicht eine angenehme schlichte Nummer zwischen all dem Wahnsinn. Leider geht das auf Kosten jeglicher Originalität.

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Weißrussland
Ruslan Alehno: Hasta La Vista

Weißrussland ist also das Land, wohin man Enrique Eglesias verschleppt und geklont hat. „Hasta la vista“ singt er dort im Opern-Rock-Stil, und wenn ihm die Zuschauer diese Worte im Halbfinale nicht unmittelbar nach dem schrecklich ausgewalzten Schluss hinterherrufen, weiß ich’s auch nicht.

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Zypern
Evdokia Kadi: Femme Fatale

Eines kann man dem zyprischen Beitrag nicht vorwerfen: Überinstrumentiert zu sein (zu hören ist ungefähr: ein Schlagzeug und eine billige Bontempi-Orgel). Allerdings kann man dem zyprischen Beitrag alles andere vorwerfen. Sinnlos hat jemand Dutzende verschiedene (aber sämtlich schlechte) Ideen aneinandergehängt und wirr besingen lassen. Das ist so schlecht, das ist nicht mal gut.
Punkte aus Griechenland: 12



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